Skip to main content
Menü

Die Lehrerfreizeit

​Ein ganz besonderes Abenteuer erwartet die Lehrer der Hiob-Schule. In den Herbstferien geht es auf Lehrerfreizeit. Doch die Hiob-Schule wäre nicht die Hiob-Schule wenn alles wie geschmiert laufen würde. Das Lehrerteam erwartet eine denkwürdige Woche!

Ein Drama in mehreren Akten - Fortsetzung folgt . . .

Die Lehrerfreizeit
Ein Kollegium auf Abwegen - Erster Teil -

Eine Lehrerfreizeit! Während wir Schüler nichtsahnend eine Woche Ferien im vermatschten Herbstwetter genossen hatten, fuhren unsere Lehrer gemeinsam auf eine Lehrerfreizeit. Das war ja mal was!

Nicht, dass es irgendwie unerhört oder unfair gewesen wäre – schließlich hatte das Kollegium ja auch Ferien und was die dann zusammen machten, konnte uns Schülern ja vollkommen egal sein – doch Herr Wolf hatte immer gerne betont, das Lehrer ja quasi überhaupt niemals Freizeit hätten.

Gut, wie viel Freizeit ihre Freizeit wirklich war, das wusste ich nicht. Frau Meyer hatte ziemlich viel Geld aus der Schulkasse bezahlt, um zu dieser Pädagogenfreizeit in das schicke Freizeitzentrum bei Salzburg zu fahren, in dem es für sie nicht nur Whirlpool, Sauna und warmes Buffet geben würde, sondern auch viele Workshops, Vorträge und Diskussionen mit anderen Lehrern, die genauso viel dafür bezahlt hatten.

Trotzdem war es irgendwie ulkig. Noch viel ulkiger war allerdings die Veränderung, die danach mit unseren Lehrern vorgegangen war.

Mal wieder waren sie zum Schuljahresanfang mit dem gewohnten Motivationsaufgebot gestartet - Dieses Jahr wird alles anders: pünktlicher Unterrichtsbeginn in jeder Stunde, wir kommen mit dem Lehrplan durch, unsere Schüler schreiben gute Noten (Und bekommen ihre Klassenarbeiten auch zeitnah wieder zurück!) und so weiter. Das ging genau drei Wochen lang gut, dann war der Stresslevel schon so hoch, dass man das Chaos schwer beschreiben konnte. In der letzten Woche vor den Ferien konnten die Lehrer dann tatsächlich kaum noch. Selbst Herr Stenzel, der neue Mathelehrer, wäre einmal fast in seinem eigenen Unterricht eingeschlafen. Dass es so weit kommen konnte, hatte uns dann doch ziemlich beunruhigt.

Jetzt waren sie also auf Lehrerfreizeit. Eine Woche lang. Und diese Woche schien sie auf wundersame Weise ganz und gar verändert zu haben.

Dass Herr Kaiser beim Kopieren fröhlich ein Liedchen vor sich hin pfiff, das war ja noch nicht so verwunderlich.

Doch als Frau Meyer strahlend vor guter Laune zur Türe in unser Klassenzimmer spitzte und nett fragte: »Na wie geht’s denn?«, begann die Sache wirklich seltsam zu werden. Sonst fragte sie uns nur so Sachen wie: »Wer war das?« oder »Seid ihr denn noch zu retten«. Und dabei war sie auch meistens ganz anders drauf.

Als dann allerdings Herr Stenzel, die Ordnung in Person, eine Minute zu spät zu seinem Matheunterricht im Klassenzimmer auftauchte und uns am Ende der Stunde nur eine einzige Aufgabe für zu Hause aufgab, da waren wir uns alle recht sicher, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

Bald war das Gerücht in aller Munde: Die Lehrerfreizeit! Irgendetwas musste auf der Lehrerfreizeit passiert sein!

»Rasmus, dem musst du mal auf den Zahn fühlen!«, grummelte Sascha in der Vesperpause. »Was auch immer da passiert ist, ich will es erfahren!«

»Na, dann find’s doch raus«, gab ich zurück. »Du bist doch hier der Mafioso!«

»Na hör mal! Mafioso! Nur wegen der Sache mit dem Fahrrad«, Sascha gab sich ein bisschen empört. »Nein, ich finde, ein rasender Reporter ist für diese Aufgabe viel besser geeignet als ein Langfinger wie ich!«

Ich warf einen prüfenden Blick auf Saschas kurze, dicke Wurstfinger. Na ja.

Ich gebe es zu: ich war selber auch ganz schön neugierig. Also schnappte ich mir Stift und Notizbuch und machte mich im Schulhaus auf die Jagd nach Informationen. Nicht jeder Lehrer war gleich gesprächig. Frau Meyer war erst mal der Meinung, mich würde es sowieso nichts angehen und Herr Kaiser wich mir aus, wo meine Nasenspitze nur zu sehen war. Andere waren etwas kooperationswilliger. Frau Valeas Tochter Sara hatte außerdem noch ein paar Bröckchen an Insiderinfos, die sie mir auf einem Schmierzettel zusteckte. Ricardo, unser Haus- und Hofhandwerker hatte auch etwas mitbekommen und gab mir bereitwillig Auskunft. »Wenn du hast herausgefunden, was weiter passiert ist, dann lass gute alte Ricardo zuerst wissen!«, schärfte er mir noch ein, nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette und seufzte: »Gute, alte Lehrerteam immer machen so viel Ärger…«

Zwei Schultage später war mein Notizbuch vollgekritzelt und ich musste alle Geschichtensplitter sortieren und ein wenig gewichten, was glaubwürdig und was weniger glaubwürdig war. Die Mühe lohnte sich: Am Ende hatte ich einen fast lückenlosen Bericht über die vergangene Woche beisammen.

»Dann schieß mal los, Rasmus«, Sascha rieb sich vergnügt die Hände. »Ich kann es kaum erwarten«

»Es ist tatsächlich eine ziemlich… spezielle Geschichte«, meinte ich geheimnisvoll. Dann legte ich los.

Freitags nach Schulschluss begann die Lehrerfahrt ins Ungewisse, wie ich sie hier mal nennen werde. Eigentlich waren sie sich sehr gewiss, wie es werden würde. Herr Bruchsaal saß am Steuer des alten, wackeligen Schulbus, Frau Meyer saß auf dem Beifahrersitz. In den Reihen hinter ihnen saßen eingeparkt Herr Wolf, Herr Kaiser, Herr Stavning, Frau Valea, Herr Stenzel und Frau Fiore. Schulhund Nola war auch mit auf Freizeit.

Herr Bruchsaal drehte den Schlüssel um. Nichts passierte. Der Motor sprang nicht an.

Herr Bruchsaal probierte es noch einmal. Das Auto hustete kurz, dann war alles still.

Frau Meyers Erzählungen nach hatte Herr Bruchsaal einige unschöne Verwünschungen gezischt. In Herrn Bruchsaals Version zückte er sofort sein Handy, um Ricardo anzurufen.

Ricardo war zufällig gerade in der Gegend.

»Muss eine bisschen von die gute alte Bauchgefühl gewesen sein, wo hat mir gesagt, Hiob-Schule braucht mich noch dieses Nachmittag!«, erzählte er mir.

Auf jeden Fall war er prompt zur Stelle und sah sich den Motor des Schulbusses an. Die Lehrer standen in einer Traube um ihn herum und sahen ihm gespannt zu.

Schließlich zuckte Ricardo mit den Schultern. »Das dauern wird …«, seufzte er. »Armes, altes Schulbus wird langes Werkstattaufenthalt vor sich haben. Funktioniert nichts mehr. Gut, manche Ding hat vielleicht noch etwas von Funktionsfähigkeit. Aber nicht für das vorgesehene Funktion. Tut mir leid …«

Die Lehrer wurden dann doch etwas nervös. Man beriet sich leise gezischt und ziemlich ärgerlich, wie es denn nun weiterginge. Herr Kaiser schlug vor, die Freizeit einfach abzusagen. Da war Frau Meyer allerdings dagegen.

»Wir haben diese Freizeit für Lehrer und Pädagogen vor Wochen gebucht. Es gibt keine Rückerstattung bei Stornierung!«, erklärte sie kühl.

»Okay«, meinte Frau Fiore fest. »Dann sollte uns jetzt was einfallen. Es bringt uns auch nichts, für die Freizeit zu zahlen und dann nicht dort hinzukommen.«

»Wir nehmen den Zug!«, entschied Frau Meyer.

Die anderen Lehrer hielten das für einen guten Vorschlag und nickten. Alle, bis auf zwei. Herr Kaiser und Herr Stavning zogen skeptisch die Augenbrauen hoch. Herr Stavning wegen Nola (Sie war nicht der Inbegriff eines artigen Hundes, das wussten wir ja. Und sie war noch nie zuvor Zug gefahren). Herr Kaiser, weil er, wie er selber sagte, schon so einige Erfahrungen mit der Bahn gemacht hatte.

Doch man diskutierte nicht lange. Herr Wolf schlug in seiner App nach, welche Route sie am besten nehmen könnten.

»Wir fahren über Nürnberg. Wenn wir den nächsten Regio zum Hauptbahnhof erwischen, schaffen wir noch den ICE, der von Nürnberg über Augsburg bis Wien fährt. Von Wien bekommen wir dann eine S-Bahn, die bis Puch fährt, wo das Freizeitzentrum liegt«, gab er bekannt.

Also wurde der vollbepackte Schulbus wieder ausgepackt, die Lehrer beluden sich mit ihrem Gepäck, Herr Stavning nahm Nola an die Leine und auf ging’s! Die Lehrerprozession führte einmal quer durch Hergendorf bis zu dem kleinen Bahnhöfchen. Es gibt hier nur ein Gleis und es hält auch nur ein Zug. Alle zwei Stunden die Regionalbahn.

Sie fuhr mit drei Minuten Verspätung ab an diesem Freitag. Die hatte es auch gebraucht, sonst hätte das Lehrerteam ihr hinterherwinken können.

»Okay, jetzt haben wir etwa zweieinhalb Stunden bis Nürnberg. Dann erwischen wir noch den ICE nach Wien!«, meinte Herr Stenzel mit Blick auf Herrn Wolfs App.

Herr Stenzel war unser schulisches Mathegenie, keine Frage. Aber hier machte er einen entscheidenden Fehler: Er ließ einen Faktor außer Acht. Den Faktor Verspätung.

Und der kam voller Genugtuung zum Zug.

- »Sehr geehrte Fahrgäste, leider müssen wir ihnen mitteilen, dass wir aufgrund von Personalmangel im nächsten Bahnhof zwanzig Minuten länger halten werden«

- »Sehr geehrte Fahrgäste, wir müssen ihnen mitteilen, dass wir wegen einer Kuhherde auf den Gleisen leider gerade nicht weiterfahren können«

- »Sehr geehrte Fahrgäste, wir möchten sie auf das reichhaltige Angebot in unserem Bordbistro aufmerksam machen«

Gut, das letzte war kein Verspätungsgrund. Nicht wirklich. Vielleicht hatte aber der Zugchef selbst vor der Abfahrt davon gegessen, denn beim nächsten Halt hieß es.

»Da ihrem Zugchef leider unpässlich geworden ist, werden wir am nächsten Bahnhof warten, bis ein neuer zur Verfügung steht«

Und so standen die Lehrer am Hauptbahnhof Würzburg, während in Nürnberg der ICE nach Wien ohne sie losfuhr.

Mit über einer Stunde Verspätung kam der Regio dann tatsächlich am Ziel an.

»Und jetzt?«, fragte Herr Kaiser, den das ganze Unternehmen schon ziemlich nervte.

»Jetzt haben wir ein Problem«, stellte Herr Wolf recht sachlich fest.

In diesem Punkt waren sie sich alle einig.

Herr Stenzel fand schließlich heraus, dass in einer halben Stunde ein Bummelzug in Richtung München abfahren würde.

»Da wären wir noch nicht ganz am Ziel«, stellte Frau Meyer fest.

»Aber auch nicht mehr ganz so weit davon entfernt«, ergänzte Frau Fiore.

»Und von wo fährt dieser Zug ab?«, fragte Frau Valea.

»Von Gleis 3«, wusste Herr Stenzel.

Mechanisch richtete der Blick der Lehrer sich auf das blaue Schild über ihrem Bahnsteig. Plattform 22

»Das ist am anderen Ende des Bahnhofs!«, seufzte Herr Kaiser entnervt.

Also alle Lehrer runter in die Unterführung und gegen den Strom der Businessreisenden im hellen Anzug, der laut telefonierenden Ostblock-Einwanderer und der aufs Handy starrenden Teenies einmal unter allen Bahnsteigen hindurch. Der Zug stand schon am Gleis, als sie endlich ankamen.

Herr Wolf hatte über sein Handy online Tickets gelöst, sodass die Lehrer sich gleich in den Zug hineinzwängen konnten. Die Wagen waren schon ziemlich voll. Sie mussten lange suchen, bis sie ein Abteil fanden, in dem sie alle sitzen konnten.

Herr Stavning war ganz unglücklich, weil Nola wohl irgendetwas am Bahnhof gefressen hatte. (Er war nicht ganz sicher, ob es nur einer der vielen Essensreste war oder doch der teetassengroße Hund einer Frau am Bahnsteig, den Nola schon freudig beschnuppert und der sie böse angeknurrt hatte) Herr Bruchsaal meinte, er habe es genau gesehen und es sei eine halbvolle Zigarettenschachtel gewesen. Er konnte sich allerdings auch nicht erinnern, den Hund der Dame noch einmal gesehen zu haben.

Was immer es war, Nola behielt es nicht lange bei sich. Das war nicht sehr angenehm und ich verschone hier alle Anwesenden mit Details. Die Lehrer hatten mich leider nicht verschont. Herr Stenzel gar wollte analysieren, was sie wirklich gefressen hatte, anhand von … ach, vergessen wir’s!

Herr Kaiser meinte, sie wären ziemlich platt gewesen, als sich der Zug dann in Bewegung setzte.

Er tat, was ein Bummelzug eben so tut, er schlich über die Gleise wie eine müde Schnecke. Ähnlich fühlten sich die Lehrer. Sie hatten jetzt schon so viel Verspätung, dass sie wahrscheinlich nicht mehr pünktlich zum Anfang ihrer Fortbildungsfreizeit ankommen würden.

Nach zwei Haltestellen gab es eine wichtige Durchsage. »Wie im Fahrplan vermerkt, teilen wir unseren Zug am kommenden Bahnhof mittig auf. Wagen 1-4 werden nach München fahren, Wagen 5-8 gehen ins Fichtelgebirge Richtung Neuenmarkt«

Die Lehrer bekamen kaum etwas mit, weil Nola gerade - … ihr wisst schon, und Herr Stavning nicht wusste, wie er das jetzt der Schaffnerin erklären sollte. (Sie hatte vorher schon ziemlich verärgert mit ihm geschimpft, weil Nola ohne Maulkorb unterwegs war. Und auch Herr Stavning Ausrede, sie sei ein so lieber Hund, änderte nichts daran: Vorschrift blieb Vorschrift)

Sie bemerkten es erst eine Haltestelle später. Der Aufenthalt war etwas länger und die zwei Teile des Zuges zogen in unterschiedliche Richtungen davon.

Frau Meyer wurde auf einmal ganz blass und fragte Herrn Bruchsaal, ob er nicht einmal nachsehen könnte, in welcher Wagennummer sie säßen.

Herr Bruchsaal ging vor und kam zurück. »Da steht nur etwas von Nichtraucherwagen, Ruheabteil und Maulkorbpflicht für Hunde«, meinte er.

Herr Kaiser war inzwischen in die andere Richtung aufgebrochen. Als er zurückkam, lag ein etwas schiefes Grinsen auf seinem Gesicht.

»Wir sitzen in Wagen Nummer 5«, verkündete er.

Die darauffolgende Panik wurde wahrscheinlich von allen meinen Informanten ziemlich heruntergespielt. Ich glaube ja, Frau Meyer war drauf und dran, die Notbremse zu ziehen.

Doch der Zug zuckelte weiter durch die Fränkische Schweiz in Richtung Fichtelgebirge.

»Das kann auch nur unseren Lehrern passieren«, murmelte Sascha und rollte mit den Augen.

»Falsch«, ich sah ihn fest an. »Wenn wir hier mit unserer ›ich-probier-mal-ob-man-auf dem-Lehrerstuhl-Discofox-tanzen-kann‹-Klasse auf so einen Trip gehen würde, was meinst du, wo würden wir rauskommen?«

»Hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen«, stellte Sascha kühl fest. Andreas presste die Lippen zu einem schmalen Spalt zusammen und nickte.

»Trotzdem, bei dem, was jetzt kommt, bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass es nur unseren Lehrern so passieren kann«, meinte ich.

Sie hatten nicht einmal nachgeschaut, wie das Kaff denn überhaupt hieß. Sie wollten nur so schnell es ging raus aus dem falschen Zug. Und dann standen sie auf dem kleinen Bahnsteig in dem fremden Kaff. Der Zug zuckelte davon. Sie waren allein. Allein auf einem eingleisigen Provinzbahnhof, irgendwo zwischen Nürnberg und der tschechischen Grenze.

»Ruprechtsstegen«, Herr Kaiser seufzte. »Ich glaube, wir sind offiziell im letzten Kaff vor dem Ende der Welt«

Kapitel 2 (In dem die Lehrer noch etwas weiter auf Abwege geraten und eine Schülerin ein paar merkwürdige Erfahrungen macht) folgt (wahrscheinlich) Anfang November.
Die Lehrerfreizeit
Zweites Kapitel

»Lehrer kommt!«

Laut erklang der altbekannte Warnruf des Ausgucks, der das Unheil so manches Mal in letzter Sekunde abfängt.
Blitzschnell saßen alle wieder auf ihren Plätzen und nicht mehr auf den Tischen und Schränken um meinen Platz herum. Fast genauso schnell waren meine Aufzeichnungen über die unsägliche Lehrerfreizeit wieder in meinem Schulranzen verschwunden.
Doch vor Herrn Bruchsaal hätten wir heute nichts verbergen müssen. Auch bei ihm hielt diese seltsame gute Laune noch an, die er von der Lehrfreizeit mitgebracht hatte. Er schrieb weder einen unvorbereiteten Test, noch gab er uns Hausaufgaben auf.
Mich wunderte nichts mehr, ich kannte die ganze Geschichte ja schon.
Die anderen hatten sich sofort wieder um meinen Platz gedrängt, kaum, dass Herr Bruchsaal wieder aus dem Zimmer verschwunden war.
»Wo war ich stehen geblieben?«, fing ich langsam an.
»Bahnhof Ruprechtsstegen!«, wusste Sascha und trommelte auf dem Tisch herum. »Auf, weiter gehts. Wir wollen hören, wie es den Lehrern ergangen ist«
»War es da nicht schon dunkel?«, fragte Andreas. »Ich mein, die waren doch schon einige Stunden unterwegs«
Ich nickte. »Dunkel, feucht und auch ziemlich kalt«



Ein leichter Wind trieb vereinzelte Nebelfetzen über die verwaisten Gleise. Es war halb Acht, die Sonne hatte sich schon verabschiedet und war einer graublauen Herbstnacht gewichen. Im fahlgelben Schein der Bahnsteigbeleuchtung saß unser Lehrerkollegium auf den Bahnhofbänken und sah ziemlich missmutig drein.
Herr Kaiser erzählte mir, Frau Meyer habe leise vor sich hin geflucht, Frau Meyers vermerk zu dieser Situation war lediglich, sie habe sich »nicht ganz wohl in ihrer Haut« gefühlt.
Nun, das hatte kein Lehrer. Erst recht nicht, als Herr Stenzel auf dem Fahrplan entdeckte, dass in den nächsten vierzehn Stunden hier kein Zug zu erwarten war.
Sie saßen fest. In Ruprechtsstegen. Fünf Minuten vom Ende der Welt.
»Und wo übernachten wir dann?«, fragte Frau Valea ziemlich unbehaglich. Sie sprach damit wohl aus, was sich alle insgeheim schon gefragt hatten. Allerdings, ohne eine Antwort zu finden.
Missmutiges Schulterzucken machte die Reihe. Selbst Nola sah etwas betreten drein. Vielleicht war ihr ihre »Ich-würg-einfach-mal-die-letzten-drei-Mahlzeiten-raus«-Nummer aus dem Zug inzwischen auch etwas peinlich.
»Hier am Bahnsteig will ich ganz sicher nicht übernachten«, fröstelte Frau Fiore.
»Meine Wetter-App sagt, dass es in etwa drei Stunden anfängt, zu regnen«, verkündete Herr Wolf.
Das trug nicht gerade zur guten Stimmung bei.
Herr Stenzel fand heraus, dass der kleine Imbiss, der sich in einem alten Bahnwagen direkt am Bahnsteig befand, noch geöffnet hatte und so setzten sich die Lehrer erst mal ins Warme und bestellten sich ein Abendessen.
Warme Betten hatte man ihnen versprochen. King Size. Mit Dusche, Whirlpool, Massagesessel und Zimmer mit Balkon.
»Nach diesem vermurksten Tag war es ja klar, dass wir irgendwo in einer Bahnunterführung schlafen müssen«, Frau Meyer war ziemlich deprimiert.
»Lass uns doch mal sehen«, Herr Kaiser wollte die Hoffnung nicht so schnell aufgeben. »Es gibt einige Bed-and-Breakfest Angebote in der Nähe. Vielleicht gibt es da noch ein Zimmer für uns!«
Erleichtertes Aufatmen und Nicken allerseits. Hätten sie gewusst, wo sie die Nacht verbringen würden, dann hätten sie sich das Aufatmen gespart.
Herr Wolf fand im Internet ein B&B, das genügend freie Betten hätte und stellte sein Handynavi darauf ein. Frau Meyer bezahlte das Abendessen und weiter ging die Reise. Dieses Mal auf Schusters Rappen, ein anderes Transportmittel stand ja nicht zur Verfügung.
»Wie lang ist der Weg bis zur Pension?«, wollte Frau Valea wissen.
»Eine halbe Stunde. Wir müssen drei Dörfer weiter«, erklärte Herr Wolf.
Eine ganze Weile marschierten sie so an der Landstraße entlang und waren eigentlich wieder ganz frohen Mutes. Zu früh allerdings. Viel zu früh.
Herr Wolf und Herr Bruchsaal hatten das Navi-Handy bei sich und gingen voraus. Die anderen Lehrer waren schon etwas überrascht, als die beiden Anführer auf einmal nach rechts vom Weg abbogen. Herr Kaiser blieb skeptisch stehen und legte die Stirn in Falten. »Das ist ein kleiner, schmaler Waldweg«, stellte er sachlich fest.
»Das Navi sagt, wir müssen da entlang!«, rief Herr Bruchsaal über die Schulter zurück.
Herrn Kaisers Vertrauen in Navis war nicht mehr besonders hoch. Also entgegnete er: »Ich weiß nicht. Das letzte Mal, dass ich einem Navi nach so einen Waldweg entlang bin, hat es ziemlich lange gedauert, bis ich die Außenwelt wieder gesehen habe«
»Das ist eine Abkürzung!«, beharrte Herr Wolf.
»Gerade gut«, stöhnte Frau Meyer. »Mir ist kalt, mir tun die Füße weh. Ich sehne mich nach der Wärme von einem Bett!«
Herr Stavning stimmte ihr zu. Nur in einer Sache war er nicht einig mit ihr: »Es heißt ›nach der Wärme eines Bettes‹«

Während Herr Stavning und Frau Meyer sich auf dem Waldweg noch darüber foppten, ob der grammatikalisch richtige Genetiv in Ausnahmesituationen wie dieser eher wichtig oder unwichtig ist, springen wir mal kurz zurück nach Hergendorf, wo unsere Mitschülerin Sara, Frau Valeas Tochter, alleine zu Hause war.

Das Abendessen hatte sie sich in der Mikrowelle warm gemacht. Herr Valea, den kein anderer an der Schule jemals zu Gesicht bekommen hatte, war auf Geschäftsreise im vorderen Orient. Sara war also alleine im Haus und begann sich langsam Sorgen zu machen. Ihre Mutter war seit Mittag auf Lehrerfreizeit und hatte sich kein einziges Mal gemeldet. Der Grund dafür – neben der eben erzählten Odyssee – war, dass sie ihr Handy zu Hause vergessen hatte. Als Sara ihre Mutter dann gegen neun Uhr abends anrief, merkte sie das.
»Na, das wird schon nicht weiter schlimm sein«, sagte sie und entschloss sich, mal bei der Rezeption des Tagungszentrums anzurufen.
Die Dame am Telefon hätte ihr gerne weitergeholfen, doch leider war keine Frau namens Valea bei ihnen und auch an die Ankunft des Lehrerteams aus Hergendorf konnte sie sich nicht erinnern.
Sara legte auf und war nun doch ziemlich beunruhigt.
Auch die Dame am anderen Ende der Leitung begann, sich Sorgen zu machen und rief ihren Vorgesetzten an. Der fand die Sache auch durchaus seltsam und rief einen Kollegen an, während die Dame am Empfang bei der örtlichen Polizei anrief. Sara derweil tigerte unruhig im Wohnzimmer auf und ab, und entschloss sich schließlich, Ricardo anzurufen.
Und während hier tausend Telefonate geführt werden, kehren wir zurück in den tiefen mittalfränkischen Wald.

Inzwischen war eine neue Situation eingetreten.
»Satellitenverbindung verloren«, erzählte die Navidame seelenruhig. »Bitte versuchen sie, wieder eine Verbindung herzustellen!«
Herr Wolf legte die Stirn in Falten. »Das ist mir ja noch nie passiert!«
Die ganze Truppe stand etwas hilflos im Wald herum.
»Die Richtung weißt du aber noch ungefähr?«, wollte Frau Meyer bange wissen.
Herr Wolf zuckte mit den Schultern. »Den Weg eben weiter. Irgendwann führt der wieder auf eine Straße«
Frau Fiore nickte. »Dann lass uns weiter gehen! Mir ist kalt. Und ein Bett brauchen wir alle, glaub ich!«
Also gings weiter. Bis der Weg sich gabelte.
»Das hat dein Handy nicht vorhergesehen«, seufzte Herr Kaiser.
Herr Wolfs Handy machte sich prompt bemerkbar. »Akkustand schwach«, ertönte die monotone Stimme. »Schließen Sie Ihr Handy bitte an das Stromnetz an«
»Sei still!«, zischte Herr Wolf ärgerlich.
»Soweit ich die Karte in Erinnerung hab, müsste es doch nach links gehen!«
Also gingen sie alle nach links. Herr Wolfs Handy verabschiedete sich derweil in den Urlaub und ging aus. Herr Bruchsaal zog sein hervor und übernahm.
»Wie war die Adresse von dem Hotel?«, fragte er.
Nach etwas herumdrucksen mussten sie irgendwie feststellen, dass keiner mehr wusste, wie das Hotel genau hieß, und wo es war.
Es hätte allerdings sowieso nichts gebracht, denn Herr Bruchsaal hatte kein Netz und auch die anderen Lehrer bekamen keine Internetverbindung. Nicht mal Frau Meyer, die irgendeinen ganz wilden Internet-Extra-Deluxe-Plus-Vertrag abgeschlossen hatte, bekam das kleinste bisschen Aussschlag. Es brachte auch nichts, dass sie auf Herrn Bruchsaals Schludern kletterte und das Handy über ihrem Kopf hin und her schwenkte. Es sah nur ziemlich albern aus (zumindest laut Herr Kaiser).
»Bayern ist echt das Ende der Welt«, zischte sie verdrießlich. »Warum können die nicht irgendwie das Land mit Internet abdecken«
»Wozu? Hier im Wald braucht doch kein Schwein Internet«, murmelte Herr Kaiser.
Frau Fiore kicherte. »Im wahrsten Sinne des Wortes. Stell dir mal vor, die Wildschweine wollen ihren Laptop hier einloggen. Oder die Eichhörnchen rufen bei der Forstverwaltung an, um sich über den Förster zu beschweren oder …«
Herr Wolf gab zu Protokoll, dass er das nicht witzig fand.
»Wohin gehen wir denn, wenn wir nicht wissen, wohin?«, fragte Frau Valea etwas kleinlaut.
Herr Stavning, der als Kind bei den Pfadfindern gewesen war, übernahm erst mal die Führung. Nola beteiligte sich als Fährtenhund. Allerdings zog sie andauernd vom Weg in andere Richtungen davon und war so nicht besonders hilfreich.
Das Licht der Handytaschenlampen durchschnitt die Dunkelheit der Nacht. Inzwischen war es tatsächlich Nacht. Neun Uhr zeigte Herrn Bruchsaals Armbanduhr, die ging allerdings meistens etwas nach.
»Nein, hier ist eindeutig falsch!«, meinte Herr Stavning und legte die Stirn in Falten, als sie auf einem Bauernhof in der Pampa herauskamen.
»Jetzt übernehm ich mal die Führung!«, meinte Frau Meyer.
Und so ging die Lehrerpolonaise weiter. Handytaschenlampen tanzten durch die Nacht, über Straßenkreuzungen, Schotterwege und durch das Dickicht des Waldes. Egal, wohin man sich wandte, schon bald stand man wieder mitten im Wald.
»Mir reicht es langsam«, schimpfte Frau Meyer schließlich verzweifelt. »Scheiß Bayern!«


»Zu ihrem letzten Kommentar gibt es eine recht dürftige Beweislage«, schob ich dazwischen. »Allerdings dachte ich, da es doch ein, zwei Belege dafür gibt, führe ich das hier mal auf.«
Andreas nickte. »Klingt irgendwie bedenklich«
»Das war die Verfassung der Lehrer auch«, ich grinste geheimnisvoll. »Ich erzähl mal weiter …«


 

Herr Stavning wollte Frau Meyer gerade erklären, dass das hier streng genommen Oberfranken war und Franken und Bayern es nicht liebten, verwechselt zu werden, als Herr Stenzel eine seltsame Feststellung machte:
- »Hier steht ein Lebkuchenhaus!«
»Was?«, Frau Meyer horchte auf. »Johann, wiederhole das bitte, ich hab gerade ernsthaft verstanden, du hättest gesagt, dass da ein Lebkuchenhaus stünde«
»Das tut es ja auch!«, rief Herr Bruchsaal.
Tatsächlich! Hinter der nächsten Biegung stand ein Lebkuchenhaus, nicht groß genug für einen Menschen, doch trotzdem nicht klein. Es war mit Spinnweben und Laub bedeckt, der Lack war von dem Bauwerk an einigen Stellen abgesplittert. Fast wirkte es wirklich so, als ob gleich eine Knusperhexe herauskommen könnte.
»Himmel, was macht das denn da?«, fragte Frau Fiore verdattert.
Herr Bruchsaal zuckte mit den Schultern.
»Was ist das hier denn?« Am Wegesrand stand ein Steinpfosten mit einem großen, grünen Knopf darauf. Herr Wolf konnte es natürlich nicht bleiben lassen, daran herumzufummeln.
Da ging auf einmal die Tür des Knusperhauses auf und eine schrumpelige Hexe erschien.
»Knusper, Knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?«, ertönte eine blecherne Stimme.
Herr Bruchsaal erklärte mir, er habe schon vorher so etwas geahnt und es sofort durchschaut. Frau Fiore meinte sich allerdings genau daran zu erinnern, wie Herr Bruchsaal mit einem lauten Schrei zurückgesprungen wäre und sich hinter Nola geduckt hätte.
Was genau passiert ist, überlasse ich Ihrem Urteil.
Bei einem genaueren Blick war auch der Lack der Hexe schon ziemlich abgesplittert und Rost hatte sich ihre linke Hand hinauf gefressen. Nicht, dass es sie weniger unheimlich erscheinen ließ. Doch man konnte doch sehen, dass sie nicht echt war. Langsam fuhr sie auf ihrer Metallschiene wieder zurück und die Tür schloss sich.
»Ups«, stellte Herr Wolf fest.
»Ein Märchengarten«, stellte Herr Kaiser verwundert fest.
»Kann man das irgendwo wieder ausschalten?«, fragte Herr Wolf und drehte und drückte an dem Knopf auf dem Felspfosten herum. Mittlerweile hatte die blecherne Stimme aus dem verborgenen Lautsprecher begonnen, das Märchen weiterzuerzählen.
Herr Wolf drückte und drehte und schließlich brach der Knopf ab. Der Erzähler laberte munter weiter und schien sich nicht daran zu stören.
Die anderen Lehrer waren weitergegangen. »Was ist das hier für ein Ort?«, fragte Herr Kaiser mit wachsender Verwirrung,
Auf einer Lichtung standen mehrere lebensgroße Skulpturen von Dinosauriern. Frau Meyer schritt staunend zwischen den Beinen einer T-Rex-Statue hindurch.
Überall lag Laub auf dem Boden und Schlingpflanzen rankten sich die Beine der gigantischen Statuen hinauf.
»Dieser Ort wird immer seltsamer«, murmelte Frau Fiore leise.
Nola sah sich ziemlich verwirrt um und begann, einen der Dinos anzukläffen.
Herr Stenzel und Herr Bruchsaal waren mal wieder vorausgegangen. Jetzt tönten ihre Stimmen  über die Lichtung. »Kommt her! Das müsst ihr euch anschauen«
Schnell versammelten sich alle Lehrer hinter ihnen und sahen staunend am Waldrand über eine Ansammlung dunkler Gebäude. Die Lichter der Handytaschenlampen streiften über die Schilder »Saloon« und »Wild west«. Eine verlassene Westernstadt.
Frau Fiore sprach aus, was sie alle dachten: »Hänsel und Gretel, Jurassic Park und jetzt der wilde Westen – wo um alles in der Welt sind wir hier gelandet?«

 

Diese Frage wird ein andermal beantwortet. Doch garantiert noch vor Weihnachten im DRITTEN KAPITEL. Seid gespannt!

Die Hiob-Schule im Homeschooling

Vor ein paar Jahren war es plötzlich überall: Corona. Alles wurde dicht gemacht und die Schulen mussten auf Homeschoolinbg und Online-Unterricht umsteigen.

Da kommt natürlich die Frage auf: Auch die Hiob-Schule?

Ja, natürlich auch die Hiob-Schule. Aber wie ist es denen denn ergangen?

Das könnt ihr hier in dieser Geschichte nachlesen.

Die Videokonferenz
Die Hiob-Schule geht online (Zumindest versuchen sie's)

Wenn ich etwas überhaupt nicht leiden kann, dann Videokonferenzen.

Mittlerweile, nach fast einem halben Lockdown-Jahr, haben selbst unsere Lehrer das Internet für sich entdeckt. Seit vergangener Woche hatten wir regelmäßig Unterricht in Videokonferenzen. Allerdings lief das noch nicht ganz so, wie sich das die Lehrer vermutlich vorgestellt hatten.
Bei der unserer ersten Onlinesitzung sahen wir die Hälfte der Zeit nur Herrn Kaisers Küche und zwischendurch seine Frau (die ihn fragte, warum um alles in der Welt er den Laptop auf die noch heiße Herdplatte gestellt hatte), die andere Hälfte der Zeit vergeudete Herr Kaiser dann mit dem Beheben technischer Probleme.

Heute durfte sich dann Herr Stavning am Online-Unterricht versuchen.
Die Sitzung begann schon um acht Uhr morgens– somit frühstückte ich ein bisschen früher und rief direkt danach noch einmal meine E-Mails ab – vielleicht hatte Herr Stavning ja noch Arbeitsblätter für die Deutschstunde geschickt. Ein Blick reichte aus: Nein, hatte er nicht – In unserem Postfach befand sich lediglich ein PDF-Katalog für Hundespielsachen. Ich verschob ihn in den Spam-Ordner und begann, mich für die Konferenz bereitzumachen.
Einigermaßen pünktlich loggte ich mich in die Sitzung ein, gab meinen Namen und mein Passwort an und wurde in den digitalen Sitzungssaal gelassen. Auf dem Bildschirm meines Laptops erschien nun links eine Liste mit den Namen meiner Mitschüler, rechts ploppte ein Fenster mit dem Gesicht von Herrn Stavning auf. Irgendetwas stimmte nicht, das war an seinem besorgten Gesichtsabdruck zu sehen.
„Leander, kannst du mich hören?“, fragte er gerade sehr ernst, langsam und deutlich.
Nein, Leander konnte ihn wahrscheinlich nicht hören, denn anstatt einer Antwort kam von Leander aus nur irgendein schlimmes Krach- und Quietschgeräusch.
Sascha, unser Klassenclown, aktivierte sein Mikrofon. „Herr Stavning!“, meinte er, „Leander hat mir eben per SMS geschrieben, dass etwas bei ihm nicht funktioniert … – Er schreibt, er kann Sie hören und sehen, aber wenn er versucht sein Mikrofon einzuschalten, dann stürzt sein Computer ab oder macht diese seltsamen Geräusche.“
„Na toll“, bemerkte Herr Stavning. „Aber gut, wenn er uns hören kann, ist das Wichtigste ja schon mal vorhanden. Fangen wir eben so an...“ Herr Stavnings Gesicht verschwand von der rechten Bildschirmhälfte und wenige Sekunden später tauchte stattdessen ein Arbeitsblatt auf.
„So ihr Lieben“, ertönte Herrn Stavnings Stimme aus dem Off, „Dieses Arbeitsblatt habe ich euch gestern Abend zugemailt."
Empörtes Protestgemurmel von allen Schülern erhob sich.
„Also, ich hab nichts bekommen!“ beschwerte sich Sara.
„Ich auch nicht!“, pflichtete Felix ihr bei.
„Krvlpfringquieetschfrtschmlqiiiiekel“ hörte man von Leanders Mikrofon.
„Okay“, Herrn Stavnings Stimme wurde nervöser, „ich dachte, ich hätte es rumgeschickt – wartet mal kurz …“.
Man hörte einen Stuhl über den Boden kratzen, Schritte die sich entfernten, dann war es still in der Videokonferenz. Nach etwa zwei Minuten erschien Herrn Stavnings Gesicht wieder auf dem Bildschirm. Er sah etwas bedröppelt aus.
„Sorry“, meinte er entschuldigend, „Ich habe versehentlich die falsche Datei verschickt – die mit dem Werbekatalog für Hundespielzeug, den ich gestern angefordert hatte. Jetzt hab ich die richtige PDF verschickt. Könnt ihr euch bitte das Arbeitsblatt schnell ausdrucken?“
Fünf Minuten später hatten wir alle einen Ausdruck des Arbeitsblattes vor uns liegen.
„So, jetzt zur ersten Aufgabe …“ begann Herr Stavning, wurde aber jäh von Ben unterbrochen.
„Warum ist da kein Nutella drauf?“, rief dieser mit empörter Stimme in die Sitzung hinein. Herr Stavning bekam einen sehr seltsamen Gesichtsausdruck.
„Warum ist wo kein Nutella drauf?“ fragte er verwirrt.
„Ups … Also, Herr Stavning, das war jetzt eigentlich nicht… ich hab aus Versehen das Mikrofon angemacht – reden Sie ruhig weiter“ hörte man Ben erschrocken, dann deaktivierte er sein Mikrofon schnell wieder.
Schade, denn die Sache mit dem Nutella hätte mich schon interessiert …
Herr Stavning schien das nicht so brennend zu interessieren, denn nachdem er sich kurz gesammelt hatte, machte er mit seinem Unterricht weiter. „Also“ begann er wieder, „letzte Woche habe ich ja als Hausaufgabe aufgegeben, dass ihr die Kurzgeschichte, die ich euch gegeben habe, lest.“
„Sie haben WAS??????“ Saras Stimme klang ein wenig entsetzt.
Herr Stavning hielt kurz inne, dann antwortete er verunsichert: „Ich hatte als Hausaufgabe aufgegeben, dass ihr die Kurzgeschichte, die ich euch gegeben habe, lest.“
– „Wann?“
– „Letzte Woche“
– „Und warum bekomme ich davon nix mit???“, Sara schien am Rand der Hysterie.
„Keine Ahnung warum du davon nichts mitkriegst – die anderen haben es auf jeden Fall mitbekommen!“, meinte Herr Stavning mit fester Stimme, dann setzte er doch leicht verunsichert noch hinzu: „Oder etwa nicht? Ben – hast du die Hausaufgabe gemacht?“
Ben schaltete sein Mikrofon ein – sehr laute Schmatzgeräusche wurden hörbar. Dann hörte man ihn mit vollem Mund fragen: „Was bitte?“
„Die Hausaufgaben, Ben!!!“, meinte Herr Stavning mit Nachdruck
„Welche Hausaufgaben?“, Ben klang leicht irritiert.
Herr Stavning brach offensichtlich der Schweiß aus.
„Guten Appetit Ben!“, wünschte Sascha gutgelaunt.
„Danke, ebenso!“, erwiderte Ben und man hörte wieder, wie er geräuschvoll von irgendetwas abbiss.
„Warum war da eigentlich kein Nutella drauf?“, fragte Felix in die Runde.
Ben lachte: „Naja, das war so – Ich …“
– „Stoppt ihr mal eure Privatgespräche? Es ist immerhin Unterricht“, grätschte Herr Stavning dazwischen, „Wir beschäftigen uns jetzt mit einer Art ,Splitterstück der Trümmerliteratur‘ – nämlich der Kurzgeschichte, die ihr gelesen haben solltet.“
„Welche Kurzgeschichte“ schmatzte Ben mit vollem Mund.
„Die, die ihr lesen solltet!“ Herr Stavning schien langsam am Ende seiner Geduld zu sein.
„Ihbiezquieckquieckkrckrchschrkriequieckiiiömpf“ gab Leander zu bedenken – die Krachgeräusche, die sein Mikrofon von sich gab, klangen gar nicht gut. Die anderen hatten wohl denselben Eindruck wie ich.
„He Leander, Hast du statt nem Micro ne Konservenbüchse an deinen Computer angeschlossen?“, fragte Sascha vorsichtig.
„Gijtuhquickmkrfdwnizrquiiiieck“, antwortete Leander, bzw. seine technischen Probleme.
„Es klingt ganz danach“, meinte Herr Stavning nachdenklich.
„uickmkrfdwnkquieckkrckrchschrkriequieckiimlqiiiielpf“ gaben Leanders technischen Probleme zur Antwort.
„Ich glaube, das hat er schon mal gesagt …“ meinte Felix grübelnd.
„So kann das doch wirklich nicht weitergehen. Es reicht mir langsam mit wiesen diedeokofzt“ seufzte Herr Stavning.
Ich hielt kurz irritiert inne, die anderen schienen es ebenfalls zu tun. Doch schnell fiel auf, dass es weniger an Herrn Stavnings Aussprachetalent als an seiner Internetverbindung lag, dass wir ihn so schlecht verstehen konnten. Sein Bild hatte sich auch aufgehängt. Sascha kicherte leicht irritiert, Ben schmatzte ins Mikrofon, Herr Stavning blieb stumm und unbeweglich. Dann plötzlich wieder ein Rauschen aus seinem Mikrofon.
„Wobei hpn ümpng imn pfinm intschnietsch“, sagte Herr Stavning.
„Wie bitte?“ Sara hatte das offensichtlich nicht richtig verstanden. Wie sollte sie auch. Keiner von uns konnte Herrn Stavning verstehen. Auch wenn er scheinbar viel zu sagen hätte. Aus seinem Mikrofon drangen weiterhin Laute wie:„Nkquieckkriimlqiiiieckrchschrkriequieck“
– „Jetzt fängt der auch noch damit an …“ stöhnte Sascha.
„Dapf Internepf mipft der Deupfem Bwahn – Pfag if dwopf!“, bemerkte Ben. Dass man ihn nicht so gut verstand, lag wohl eher daran, dass er den Mund immer noch voll hatte.
„Es wäre schon cool, wenn die Lehrer auch in der Schule mal einfach so ausfallen könnten. Wir sehen sie nicht mehr und wenn sie was sagen wollen, hören wir nur ein Rauschen und Quietschen!“, fantasierte Felix vor sich hin.
Herr Stavning konnte es natürlich nicht ohne Protest auf sich sitzen lassen. Eine ganze Kakofonie von Quietsch- Krach- uns Knarzlauten ergoss sich in den digitalen Konferenzraum.
„Was machen wir jetzt, ohne Lehrer?“, fragte Sara konstatiert.
„Ich denke – nix“, meinte Sascha vergnügt, „Oder anders gesagt: Freizeit. Glaubst du, ich hänge noch länger vor der Kiste und höre Herrn Stavning beim Knirschen und Quiecken zu? - Nee ich geh dann mal. Macht‘s gut. Ach ja, und guten Appetit Ben!“. Damit ertönte ein Geräusch und auf dem Bildschirm ploppte ein neues Fenster auf: "Sascha hat das Meeting verlassen.“
Herrn Stavnings Quicklaute wurden lauter und klangen ein wenig echauffiert. Allerdings konnte er seine Schüler damit nicht aufhalten. Und so war der Deutschunterricht dann auch schon wieder vorbei, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte.

Also, desto länger ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich, eigentlich mag ich Videokonferenzen doch ganz gern…

Lust auf mehr?

Hast du selbst chaotische Schulgeschichten zu erzählen?

Hiob-Schule Hergendorf
​"Weihnachten mit der Hiob-Schule" - Leseadventskalender in 24 chaotisch-witzigen Kapiteln