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Die Lehrerfreizeit

Ein ganz besonderes Abenteuer erwartet die Lehrer der Hiob-Schule. In den Herbstferien geht es auf Lehrerfreizeit. Doch die Hiob-Schule wäre nicht die Hiob-Schule wenn alles wie geschmiert laufen würde. Das Lehrerteam erwartet eine denkwürdige Woche!

Ein Drama in mehreren Akten - Fortsetzung folgt . . .

Die Lehrerfreizeit

Eine Lehrerfreizeit! Während wir Schüler nichtsahnend eine Woche Ferien im vermatschten Herbstwetter genossen hatten, fuhren unsere Lehrer gemeinsam auf eine Lehrerfreizeit. Das war ja mal was!

Nicht, dass es irgendwie unerhört oder unfair gewesen wäre – schließlich hatte das Kollegium ja auch Ferien und was die dann zusammen machten, konnte uns Schülern ja vollkommen egal sein – doch Herr Wolf hatte immer gerne betont, das Lehrer ja quasi überhaupt niemals Freizeit hätten.

Gut, wie viel Freizeit ihre Freizeit wirklich war, das wusste ich nicht. Frau Meyer hatte ziemlich viel Geld aus der Schulkasse bezahlt, um zu dieser Pädagogenfreizeit in das schicke Freizeitzentrum bei Salzburg zu fahren, in dem es für sie nicht nur Whirlpool, Sauna und warmes Buffet geben würde, sondern auch viele Workshops, Vorträge und Diskussionen mit anderen Lehrern, die genauso viel dafür bezahlt hatten. 

Trotzdem war es irgendwie ulkig. Noch viel ulkiger war allerdings die Veränderung, die danach mit unseren Lehrern vorgegangen war.

Mal wieder waren sie zum Schuljahresanfang mit dem gewohnten Motivationsaufgebot  gestartet - Dieses Jahr wird alles anders: pünktlicher Unterrichtsbeginn in jeder Stunde, wir kommen mit dem Lehrplan durch, unsere Schüler schreiben gute Noten (Und bekommen ihre Klassenarbeiten auch zeitnah wieder zurück!) und so weiter. Das ging genau drei Wochen lang gut, dann war der Stresslevel schon so hoch, dass man das Chaos schwer beschreiben konnte. In der letzten Woche vor den Ferien konnten die Lehrer dann tatsächlich kaum noch. Selbst Herr Stenzel, der neue Mathelehrer, wäre einmal fast in seinem eigenen Unterricht eingeschlafen. Dass es so weit kommen konnte, hatte uns dann doch ziemlich beunruhigt.

Jetzt waren sie also auf Lehrerfreizeit. Eine Woche lang. Und diese Woche schien sie auf wundersame Weise ganz und gar verändert zu haben.

Dass Herr Kaiser beim Kopieren fröhlich ein Liedchen vor sich hin pfiff, das war ja noch nicht so verwunderlich.

Doch als Frau Meyer strahlend vor guter Laune zur Türe in unser Klassenzimmer spitzte und nett fragte: »Na wie geht’s denn?«, begann die Sache wirklich seltsam zu werden. Sonst fragte sie uns nur so Sachen wie: »Wer war das?« oder »Seid ihr denn noch zu retten«. Und dabei war sie auch meistens ganz anders drauf.

Als dann allerdings Herr Stenzel, die Ordnung in Person, eine Minute zu spät zu seinem Matheunterricht im Klassenzimmer auftauchte und uns am Ende der Stunde nur eine einzige Aufgabe für zu Hause aufgab, da waren wir uns alle recht sicher, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

Bald war das Gerücht in aller Munde: Die Lehrerfreizeit! Irgendetwas musste auf der Lehrerfreizeit passiert sein!

»Rasmus, dem musst du mal auf den Zahn fühlen!«, grummelte Sascha in der Vesperpause. »Was auch immer da passiert ist, ich will es erfahren!«

»Na, dann find’s doch raus«, gab ich zurück. »Du bist doch hier der Mafioso!«

»Na hör mal! Mafioso! Nur wegen der Sache mit dem Fahrrad«, Sascha gab sich ein bisschen empört. »Nein, ich finde, ein rasender Reporter ist für diese Aufgabe viel besser geeignet als ein Langfinger wie ich!«

Ich warf einen prüfenden Blick auf Saschas kurze, dicke Wurstfinger. Na ja.

Ich gebe es zu: ich war selber auch ganz schön neugierig. Also schnappte ich mir Stift und Notizbuch und machte mich im Schulhaus auf die Jagd nach Informationen. Nicht jeder Lehrer war gleich gesprächig. Frau Meyer war erst mal der Meinung, mich würde es sowieso nichts angehen und Herr Kaiser wich mir aus, wo meine Nasenspitze nur zu sehen war. Andere waren etwas kooperationswilliger. Frau Valeas Tochter Sara hatte außerdem noch ein paar Bröckchen an Insiderinfos, die sie mir auf einem Schmierzettel zusteckte. Ricardo, unser Haus- und Hofhandwerker hatte auch etwas mitbekommen und gab mir bereitwillig Auskunft. »Wenn du hast herausgefunden, was weiter passiert ist, dann lass gute alte Ricardo zuerst wissen!«, schärfte er mir noch ein, nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette und seufzte: »Gute, alte Lehrerteam immer machen so viel Ärger…«

Zwei Schultage später war mein Notizbuch vollgekritzelt und ich musste alle Geschichtensplitter sortieren und ein wenig gewichten, was glaubwürdig und was weniger glaubwürdig war. Die Mühe lohnte sich: Am Ende hatte ich einen fast lückenlosen Bericht über die vergangene Woche beisammen.

»Dann schieß mal los, Rasmus«, Sascha rieb sich vergnügt die Hände. »Ich kann es kaum erwarten«

»Es ist tatsächlich eine ziemlich… spezielle Geschichte«, meinte ich geheimnisvoll. Dann legte ich los.

Freitags nach Schulschluss begann die Lehrerfahrt ins Ungewisse, wie ich sie hier mal nennen werde. Eigentlich waren sie sich sehr gewiss, wie es werden würde. Herr Bruchsaal saß am Steuer des alten, wackeligen Schulbus, Frau Meyer saß auf dem Beifahrersitz. In den Reihen hinter ihnen saßen eingeparkt Herr Wolf, Herr Kaiser, Herr Stavning, Frau Valea, Herr Stenzel und Frau Fiore. Schulhund Nola war auch mit auf Freizeit.

Herr Bruchsaal drehte den Schlüssel um. Nichts passierte. Der Motor sprang nicht an.

Herr Bruchsaal probierte es noch einmal. Das Auto hustete kurz, dann war alles still.

Frau Meyers Erzählungen nach hatte Herr Bruchsaal einige unschöne Verwünschungen gezischt. In Herrn Bruchsaals Version zückte er sofort sein Handy, um Ricardo anzurufen.

Ricardo war zufällig gerade in der Gegend. 

»Muss eine bisschen von die gute alte Bauchgefühl gewesen sein, wo hat mir gesagt, Hiob-Schule braucht mich noch dieses Nachmittag!«, erzählte er mir.

Auf jeden Fall war er prompt zur Stelle und sah sich den Motor des Schulbusses an. Die Lehrer standen in einer Traube um ihn herum und sahen ihm gespannt zu.

Schließlich zuckte Ricardo mit den Schultern. »Das dauern wird …«, seufzte er. »Armes, altes Schulbus wird langes Werkstattaufenthalt vor sich haben. Funktioniert nichts mehr. Gut, manche Ding hat vielleicht noch etwas von Funktionsfähigkeit. Aber nicht für das vorgesehene Funktion. Tut mir leid …«

Die Lehrer wurden dann doch etwas nervös. Man beriet sich leise gezischt und ziemlich ärgerlich, wie es denn nun weiterginge. Herr Kaiser schlug vor, die Freizeit einfach abzusagen. Da war Frau Meyer allerdings dagegen.

»Wir haben diese Freizeit für Lehrer und Pädagogen vor Wochen gebucht. Es gibt keine Rückerstattung bei Stornierung!«, erklärte sie kühl.

»Okay«, meinte Frau Fiore fest. »Dann sollte uns jetzt was einfallen. Es bringt uns auch nichts, für die Freizeit zu zahlen und dann nicht dort hinzukommen.«

»Wir nehmen den Zug!«, entschied Frau Meyer.

Die anderen Lehrer hielten das für einen guten Vorschlag und nickten. Alle, bis auf zwei. Herr Kaiser und Herr Stavning zogen skeptisch die Augenbrauen hoch. Herr Stavning wegen Nola (Sie war nicht der Inbegriff eines artigen Hundes, das wussten wir ja. Und sie war noch nie zuvor Zug gefahren). Herr Kaiser, weil er, wie er selber sagte, schon so einige Erfahrungen mit der Bahn gemacht hatte.

Doch man diskutierte nicht lange. Herr Wolf schlug in seiner App nach, welche Route sie am besten nehmen könnten.

»Wir fahren über Nürnberg. Wenn wir den nächsten Regio zum Hauptbahnhof erwischen, schaffen wir noch den ICE, der von Nürnberg über Augsburg bis Wien fährt. Von Wien bekommen wir dann eine S-Bahn, die bis Puch fährt, wo das Freizeitzentrum liegt«, gab er bekannt.

Also wurde der vollbepackte Schulbus wieder ausgepackt, die Lehrer beluden sich mit ihrem Gepäck, Herr Stavning nahm Nola an die Leine und auf ging’s! Die Lehrerprozession führte einmal quer durch Hergendorf bis zu dem kleinen Bahnhöfchen. Es gibt hier nur ein Gleis und es hält auch nur ein Zug. Alle zwei Stunden die Regionalbahn.

Sie fuhr mit drei Minuten Verspätung ab an diesem Freitag. Die hatte es auch gebraucht, sonst hätte das Lehrerteam ihr hinterherwinken können.

»Okay, jetzt haben wir etwa zweieinhalb Stunden bis Nürnberg. Dann erwischen wir noch den ICE nach Wien!«, meinte Herr Stenzel mit Blick auf Herrn Wolfs App.

Herr Stenzel war unser schulisches Mathegenie, keine Frage. Aber hier machte er einen entscheidenden Fehler: Er ließ einen Faktor außer Acht. Den Faktor Verspätung.

Und der kam voller Genugtuung zum Zug.

- »Sehr geehrte Fahrgäste, leider müssen wir ihnen mitteilen, dass wir aufgrund von Personalmangel im nächsten Bahnhof zwanzig Minuten länger halten werden«

- »Sehr geehrte Fahrgäste, wir müssen ihnen mitteilen, dass wir wegen einer Kuhherde auf den Gleisen leider gerade nicht weiterfahren können«

- »Sehr geehrte Fahrgäste, wir möchten sie auf das reichhaltige Angebot in unserem Bordbistro aufmerksam machen«

Gut, das letzte war kein Verspätungsgrund. Nicht wirklich. Vielleicht hatte aber der Zugchef selbst vor der Abfahrt davon gegessen, denn beim nächsten Halt hieß es.

»Da ihrem Zugchef leider unpässlich geworden ist, werden wir am nächsten Bahnhof warten, bis ein neuer zur Verfügung steht«

Und so standen die Lehrer am Hauptbahnhof Würzburg, während in Nürnberg der ICE nach Wien ohne sie losfuhr.

Mit über einer Stunde Verspätung kam der Regio dann tatsächlich am Ziel an.

»Und jetzt?«, fragte Herr Kaiser, den das ganze Unternehmen schon ziemlich nervte.

»Jetzt haben wir ein Problem«, stellte Herr Wolf recht sachlich fest.

In diesem Punkt waren sie sich alle einig.

Herr Stenzel fand schließlich heraus, dass in einer halben Stunde ein Bummelzug in Richtung München abfahren würde.

»Da wären wir noch nicht ganz am Ziel«, stellte Frau Meyer fest.

»Aber auch nicht mehr ganz so weit davon entfernt«, ergänzte Frau Fiore.

»Und von wo fährt dieser Zug ab?«, fragte Frau Valea.

»Von Gleis 3«, wusste Herr Stenzel.

Mechanisch richtete der Blick der Lehrer sich auf das blaue Schild über ihrem Bahnsteig. Plattform 22

»Das ist am anderen Ende des Bahnhofs!«, seufzte Herr Kaiser entnervt.

Also alle Lehrer runter in die Unterführung und gegen den Strom der Businessreisenden im hellen Anzug, der laut telefonierenden Ostblock-Einwanderer und der aufs Handy starrenden Teenies einmal unter allen Bahnsteigen hindurch. Der Zug stand schon am Gleis, als sie endlich ankamen.

Herr Wolf hatte über sein Handy online Tickets gelöst, sodass die Lehrer sich gleich in den Zug hineinzwängen konnten. Die Wagen waren schon ziemlich voll. Sie mussten lange suchen, bis sie ein Abteil fanden, in dem sie alle sitzen konnten. 

Herr Stavning war ganz unglücklich, weil Nola wohl irgendetwas am Bahnhof gefressen hatte. (Er war nicht ganz sicher, ob es nur einer der vielen Essensreste war oder doch der teetassengroße Hund einer Frau am Bahnsteig, den Nola schon freudig beschnuppert und der sie böse angeknurrt hatte) Herr Bruchsaal meinte, er habe es genau gesehen und es sei eine halbvolle Zigarettenschachtel gewesen. Er konnte sich allerdings auch nicht erinnern, den Hund der Dame noch einmal gesehen zu haben.

Was immer es war, Nola behielt es nicht lange bei sich. Das war nicht sehr angenehm und ich verschone hier alle Anwesenden mit Details. Die Lehrer hatten mich leider nicht verschont. Herr Stenzel gar wollte analysieren, was sie wirklich gefressen hatte, anhand von … ach, vergessen wir’s!

Herr Kaiser meinte, sie wären ziemlich platt gewesen, als sich der Zug dann in Bewegung setzte.

Er tat, was ein Bummelzug eben so tut, er schlich über die Gleise wie eine müde Schnecke. Ähnlich fühlten sich die Lehrer. Sie hatten jetzt schon so viel Verspätung, dass sie wahrscheinlich nicht mehr pünktlich zum Anfang ihrer Fortbildungsfreizeit ankommen würden.

Nach zwei Haltestellen gab es eine wichtige Durchsage. »Wie im Fahrplan vermerkt, teilen wir unseren Zug am kommenden Bahnhof mittig auf. Wagen 1-4 werden nach München fahren, Wagen 5-8 gehen ins Fichtelgebirge Richtung Neuenmarkt«

Die Lehrer bekamen kaum etwas mit, weil Nola gerade - … ihr wisst schon, und Herr Stavning nicht wusste, wie er das jetzt der Schaffnerin erklären sollte. (Sie hatte vorher schon ziemlich verärgert mit ihm geschimpft, weil Nola ohne Maulkorb unterwegs war. Und auch Herr Stavning Ausrede, sie sei ein so lieber Hund, änderte nichts daran: Vorschrift blieb Vorschrift)

Sie bemerkten es erst eine Haltestelle später. Der Aufenthalt war etwas länger und die zwei Teile des Zuges zogen in unterschiedliche Richtungen davon.

Frau Meyer wurde auf einmal ganz blass und fragte Herrn Bruchsaal, ob er nicht einmal nachsehen könnte, in welcher Wagennummer sie säßen.

Herr Bruchsaal ging vor und kam zurück. »Da steht nur etwas von Nichtraucherwagen, Ruheabteil und Maulkorbpflicht für Hunde«, meinte er.

Herr Kaiser war inzwischen in die andere Richtung aufgebrochen. Als er zurückkam, lag ein etwas schiefes Grinsen auf seinem Gesicht.

»Wir sitzen in Wagen Nummer 5«, verkündete er.

Die darauffolgende Panik wurde wahrscheinlich von allen meinen Informanten ziemlich heruntergespielt. Ich glaube ja, Frau Meyer war drauf und dran, die Notbremse zu ziehen.

Doch der Zug zuckelte weiter durch die Fränkische Schweiz in Richtung Fichtelgebirge.

»Das kann auch nur unseren Lehrern passieren«, murmelte Sascha und rollte mit den Augen.

»Falsch«, ich sah ihn fest an. »Wenn wir hier mit unserer ›ich-probier-mal-ob-man-auf dem-Lehrerstuhl-Discofox-tanzen-kann‹-Klasse auf so einen Trip gehen würde, was meinst du, wo würden wir rauskommen?«

»Hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen«, stellte Sascha kühl fest. Andreas presste die Lippen zu einem schmalen Spalt zusammen und nickte.

»Trotzdem, bei dem, was jetzt kommt, bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass es nur unseren Lehrern so passieren kann«, meinte ich.

Sie hatten nicht einmal nachgeschaut, wie das Kaff denn überhaupt hieß. Sie wollten nur so schnell es ging raus aus dem falschen Zug. Und dann standen sie auf dem kleinen Bahnsteig in dem fremden Kaff. Der Zug zuckelte davon. Sie waren allein. Allein auf einem eingleisigen Provinzbahnhof, irgendwo zwischen Nürnberg und der tschechischen Grenze.

»Ruprechtsstegen«, Herr Kaiser seufzte. »Ich glaube, wir sind offiziell im letzten Kaff vor dem Ende der Welt«


Kapitel 2 (In dem die Lehrer noch etwas weiter auf Abwege geraten und eine Schülerin ein paar merkwürdige Erfahrungen macht) folgt (wahrscheinlich) Anfang November.

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Die Hiob-Schule im Homeschooling

Im Coronalockdown stellten viele Schulen gezwungenermaßen auf Online-Unterricht um.
Da kommt natürlich die Frage auf: Auch die Hiob-Schule?
Ja, natürlich auch die Hiob-Schule. Aber wie ist es denen denn ergangen?
Das könnt ihr hier in dieser Geschichte nachlesen.

Die Videokonferenz

Wenn ich etwas überhaupt nicht leiden kann, dann Videokonferenzen.

Mittlerweile, nach fast einem halben Lockdown-Jahr, haben selbst unsere Lehrer das Internet für sich entdeckt. Seit vergangener Woche hatten wir regelmäßig Unterricht in Videokonferenzen. Allerdings lief das noch nicht ganz so, wie sich das die Lehrer vermutlich vorgestellt hatten.
Bei der unserer ersten Onlinesitzung sahen wir die Hälfte der Zeit nur Herrn Kaisers Küche und zwischendurch seine Frau (die ihn fragte, warum um alles in der Welt er den Laptop auf die noch heiße Herdplatte gestellt hatte), die andere Hälfte der Zeit vergeudete Herr Kaiser dann mit dem Beheben technischer Probleme.

Heute durfte sich dann Herr Stavning am Online-Unterricht versuchen.
Die Sitzung begann schon um acht Uhr morgens– somit frühstückte ich ein bisschen früher und rief direkt danach noch einmal meine E-Mails ab – vielleicht hatte Herr Stavning ja noch Arbeitsblätter für die Deutschstunde geschickt. Ein Blick reichte aus: Nein, hatte er nicht – In unserem Postfach befand sich lediglich ein PDF-Katalog für Hundespielsachen. Ich verschob ihn in den Spam-Ordner und begann, mich für die Konferenz bereitzumachen.
 Einigermaßen pünktlich loggte ich mich in die Sitzung ein, gab meinen Namen und mein Passwort an und wurde in den digitalen Sitzungssaal gelassen. Auf dem Bildschirm meines Laptops erschien nun links eine Liste mit den  Namen meiner Mitschüler, rechts ploppte ein Fenster mit dem Gesicht von  Herrn Stavning auf. Irgendetwas stimmte nicht, das war an seinem besorgten Gesichtsabdruck zu sehen.
„Leander, kannst du mich hören?“, fragte er gerade sehr ernst, langsam und deutlich.
Nein, Leander konnte ihn wahrscheinlich nicht hören, denn anstatt einer  Antwort kam von Leander aus nur irgendein schlimmes Krach- und  Quietschgeräusch.
Sascha, unser Klassenclown, aktivierte sein Mikrofon. „Herr Stavning!“, meinte er, „Leander hat mir eben per SMS geschrieben, dass  etwas bei ihm nicht funktioniert … – Er schreibt, er kann Sie hören und  sehen, aber wenn er versucht sein Mikrofon einzuschalten, dann stürzt  sein Computer ab oder macht diese seltsamen Geräusche.“
„Na toll“, bemerkte Herr Stavning. „Aber gut, wenn er uns hören kann, ist das Wichtigste ja schon mal vorhanden. Fangen wir eben so an...“ Herr Stavnings Gesicht verschwand von der rechten Bildschirmhälfte und  wenige Sekunden später tauchte stattdessen ein Arbeitsblatt auf.
„So ihr Lieben“, ertönte Herrn Stavnings Stimme aus dem Off, „Dieses Arbeitsblatt habe ich euch gestern Abend zugemailt."
Empörtes Protestgemurmel von allen Schülern erhob sich.
„Also, ich hab nichts bekommen!“ beschwerte sich Sara.
„Ich auch nicht!“, pflichtete Felix ihr bei.
„Krvlpfringquieetschfrtschmlqiiiiekel“ hörte man von Leanders Mikrofon.
„Okay“, Herrn Stavnings Stimme wurde nervöser, „ich dachte, ich hätte es rumgeschickt – wartet mal kurz …“.
Man hörte einen Stuhl über den Boden kratzen, Schritte die sich entfernten, dann war es still in der Videokonferenz. Nach etwa zwei Minuten erschien Herrn Stavnings Gesicht wieder auf dem Bildschirm. Er sah etwas  bedröppelt aus.
„Sorry“, meinte er entschuldigend, „Ich habe versehentlich die falsche Datei  verschickt – die mit dem Werbekatalog für Hundespielzeug, den ich  gestern angefordert hatte. Jetzt hab ich die richtige PDF verschickt.  Könnt ihr euch bitte das Arbeitsblatt schnell ausdrucken?“
Fünf Minuten später hatten wir alle einen Ausdruck des Arbeitsblattes vor uns liegen.
„So, jetzt zur ersten Aufgabe …“ begann Herr Stavning, wurde aber jäh von Ben unterbrochen.
„Warum ist da kein Nutella drauf?“, rief dieser mit empörter Stimme in die Sitzung hinein. Herr Stavning bekam einen sehr seltsamen Gesichtsausdruck.
„Warum ist wo kein Nutella drauf?“ fragte er verwirrt.
„Ups … Also, Herr Stavning, das war jetzt eigentlich nicht…  ich hab aus Versehen das Mikrofon angemacht – reden Sie ruhig weiter“ hörte man Ben erschrocken, dann deaktivierte er sein Mikrofon schnell wieder.
Schade, denn die Sache mit dem Nutella hätte mich schon interessiert …
Herr Stavning schien das nicht so brennend zu interessieren, denn nachdem er sich kurz gesammelt hatte, machte er mit seinem Unterricht weiter. „Also“ begann er wieder, „letzte Woche habe ich ja als Hausaufgabe aufgegeben, dass ihr die Kurzgeschichte, die ich euch gegeben habe, lest.“
„Sie haben WAS??????“ Saras Stimme klang ein wenig entsetzt.
Herr Stavning hielt kurz inne, dann antwortete er verunsichert: „Ich hatte  als Hausaufgabe aufgegeben, dass ihr die Kurzgeschichte, die ich euch  gegeben habe, lest.“
– „Wann?“ 
– „Letzte Woche“
 – „Und warum bekomme ich davon nix mit???“, Sara schien am Rand der Hysterie.
„Keine Ahnung warum du davon nichts mitkriegst – die anderen haben es auf  jeden Fall mitbekommen!“, meinte Herr Stavning mit fester Stimme, dann  setzte er doch leicht verunsichert noch hinzu: „Oder etwa nicht? Ben –  hast du die Hausaufgabe gemacht?“
Ben schaltete sein Mikrofon ein – sehr laute Schmatzgeräusche wurden hörbar. Dann hörte man ihn mit vollem Mund fragen: „Was bitte?“
„Die Hausaufgaben, Ben!!!“, meinte Herr Stavning mit Nachdruck
„Welche Hausaufgaben?“, Ben klang leicht irritiert.
Herr Stavning brach offensichtlich der Schweiß aus.
„Guten Appetit Ben!“, wünschte Sascha gutgelaunt.
„Danke, ebenso!“, erwiderte Ben und man hörte wieder, wie er geräuschvoll von irgendetwas abbiss.
„Warum war da eigentlich kein Nutella drauf?“, fragte Felix in die Runde.
Ben lachte: „Naja, das war so – Ich …“
– „Stoppt ihr mal eure Privatgespräche? Es ist immerhin Unterricht“,  grätschte Herr Stavning dazwischen, „Wir beschäftigen uns jetzt mit  einer Art ,Splitterstück der Trümmerliteratur‘ – nämlich der  Kurzgeschichte, die ihr gelesen haben solltet.“
„Welche Kurzgeschichte“ schmatzte Ben mit vollem Mund.
„Die, die ihr lesen solltet!“ Herr Stavning schien langsam am Ende seiner Geduld zu sein.
„Ihbiezquieckquieckkrckrchschrkriequieckiiiömpf“ gab Leander zu bedenken – die Krachgeräusche, die sein Mikrofon von  sich gab, klangen gar nicht gut. Die anderen hatten wohl denselben  Eindruck wie ich.
„He Leander, Hast du statt nem Micro ne Konservenbüchse an deinen Computer angeschlossen?“, fragte Sascha vorsichtig.
„Gijtuhquickmkrfdwnizrquiiiieck“, antwortete Leander, bzw. seine technischen Probleme.
„Es klingt ganz danach“, meinte Herr Stavning nachdenklich.
„uickmkrfdwnkquieckkrckrchschrkriequieckiimlqiiiielpf“ gaben Leanders technischen Probleme zur Antwort.
„Ich glaube, das hat er schon mal gesagt …“ meinte Felix grübelnd.
„So kann das doch wirklich nicht weitergehen. Es reicht mir langsam mit wiesen diedeokofzt“ seufzte Herr Stavning.
Ich hielt kurz irritiert inne, die anderen schienen es ebenfalls zu tun.  Doch schnell fiel auf, dass es weniger an Herrn Stavnings  Aussprachetalent als an seiner Internetverbindung lag, dass wir ihn so  schlecht verstehen konnten. Sein Bild hatte sich auch aufgehängt. Sascha kicherte leicht irritiert, Ben schmatzte ins Mikrofon, Herr Stavning blieb stumm und unbeweglich. Dann plötzlich wieder ein Rauschen aus seinem Mikrofon.
„Wobei hpn ümpng imn pfinm intschnietsch“, sagte Herr Stavning.
„Wie bitte?“ Sara hatte das offensichtlich nicht richtig verstanden. Wie sollte sie auch. Keiner von uns konnte Herrn Stavning verstehen. Auch wenn er scheinbar viel zu sagen hätte. Aus seinem Mikrofon drangen  weiterhin Laute wie:„Nkquieckkriimlqiiiieckrchschrkriequieck“
– „Jetzt fängt der auch noch damit an …“ stöhnte Sascha.
„Dapf Internepf mipft der Deupfem Bwahn – Pfag if dwopf!“, bemerkte Ben. Dass man ihn nicht so gut verstand, lag wohl eher daran, dass er den Mund immer noch voll hatte.
„Es wäre schon cool, wenn die Lehrer auch in der Schule mal einfach so  ausfallen könnten. Wir sehen sie nicht mehr und wenn sie was sagen  wollen, hören wir nur ein Rauschen und Quietschen!“, fantasierte Felix vor sich hin.
Herr Stavning konnte es natürlich nicht ohne Protest auf sich sitzen lassen. Eine ganze Kakofonie von Quietsch- Krach- uns Knarzlauten ergoss sich in den digitalen Konferenzraum.
„Was machen wir jetzt, ohne Lehrer?“, fragte Sara konstatiert.
„Ich denke – nix“, meinte Sascha vergnügt, „Oder anders gesagt: Freizeit.  Glaubst du, ich hänge noch länger vor der Kiste und höre Herrn Stavning  beim Knirschen und Quiecken zu? - Nee ich geh dann mal. Macht‘s gut. Ach ja, und guten Appetit Ben!“. Damit ertönte ein Geräusch und auf dem Bildschirm ploppte ein neues Fenster auf: "Sascha hat das Meeting verlassen.“
Herrn Stavnings Quicklaute wurden lauter und klangen ein wenig echauffiert. Allerdings konnte er seine Schüler damit nicht aufhalten. Und so war der Deutschunterricht dann auch schon wieder vorbei, bevor er überhaupt richtig  angefangen hatte.

Also, desto länger ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich, eigentlich mag ich Videokonferenzen doch ganz gern …

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